15. January 2019

Wie wir täglich in unseren Entscheidungen manipuliert werden

Der Priming-Effekt

Wiebke Oehlschläger

Wiebke Oehlschläger

Content Manager

Sie glauben, Sie seien Herr/Herrin Ihrer Entscheidungen? Da muss ich Sie leider enttäuschen, denn das sind Sie nicht. Wirklich.

Wie die meisten Menschen sind auch Sie sicherlich davon überzeugt, dass jeder Ihrer Handlungen eine bewusste Entscheidung vorausgeht. Dem ist jedoch nicht so - und ich erkläre Ihnen, warum.

Ich sah neulich ein Bild von einem Schaumkuss. Sofort hatte ich den Geschmack eines zerdrückten Schaumkusses zwischen zwei Brötchenhälften auf der Zunge - eine kulinarische “Spezialität” aus meiner Kindheit - und verspürte einen großen Appetit darauf. Also ging ich zum nahegelegenen Supermarkt, kaufte mir die Zutaten und genoss das Schaumkuss-Brötchen.

Das kommt Ihnen bekannt vor? Etwas zu sehen und es dann so sehr zu wollen, dass Sie es schon quasi riechen oder schmecken können? Oder Sie riechen etwas und haben dabei sofort ein Bild vor Augen, das gewisse Sehnsüchte weckt? Ok, Sie können jetzt argumentieren, dass ich leichter manipuliert werden kann als Sie und dass es Ihnen ganz bestimmt nicht so ergehen würde. Lassen Sie mich Sie eines besseren belehren.

Jede einzelne Werbemaßnahme sorgt für eine Assoziation der präsentierten Marke mit bestimmten Dingen. Es spielt dabei keine Rolle, ob Sie die Werbemaßnahme bewusst beachten.

Dieser Prozess hat auch einen Namen: Priming. Dieser Begriff lässt sich mit “Vorbereitung” übersetzen und meint, dass ein erster Reiz (Prime) die Interpretation/Reaktion auf einen folgenden Reiz beeinflusst. Das klingt vielleicht erst einmal kompliziert, aber im folgenden erklärt sich der Effekt von selbst.

Grundsteinlegende Studien

Holen wir erst einmal etwas aus: Schon 1977 wurden Studien zum Priming durchgeführt. E. Tory Higgins, William S. Rholes & Carl R. Jones haben herausgefunden, dass unser Urteilsvermögen ganz leicht zu manipulieren ist. Sie gaben zwei Versuchsgruppen eine Liste mit unterschiedlichen Wörtern: Die eine Gruppe bekam positive, die andere negativen Wörter.

Anschließend wurde ihnen eine Person namens Donald beschrieben, dessen Verhalten unterschiedlich ausgelegt werden kann. Die Versuchsgruppe, die die positiven Wörter bekamen, beschrieben Donald als abenteuerlustig und selbstsicher, die andere Gruppe befand ihn für leichtsinnig und überheblich.

Die zuvor gelesenen positiven oder negativen Wörter haben also die Beurteilung einer Person, als positiven oder negativen Charakter, beeinflusst.

Diese Art der Manipulation hat übrigens nicht nur Auswirkungen auf unser Urteilsvermögen, sondern sogar auf unseren Körper!

John A. Bargh, ein amerikanischer Psychologe, konnte 1996 in einem Experiment zur unbewussten Verhaltensbeeinflussung durch Priming eben diesen Effekt erfolgreich nachweisen:

Mittels verschiedener Trigger konnte das Verhalten der Versuchsgruppen verändert werden. Als Trigger diente dafür eine Wortliste. Versuchsgruppe 1 bekam Begriffe, die zum Thema “Alter” passen, wie vergesslich, humpeln oder Glatze. Die andere Gruppe las Wörter, die zum gegenteiligen Thema “Jugend” passen, wie spontan, gelenkig, Sport.

Im Anschluss wurde die Zeit gemessen, die beide Gruppen benötigten, um den Raum zu verlassen und einen langen Gang zum Ausgang zu laufen. Erstaunlicherweise war die erste Gruppe mit den Alters-Triggern deutlich langsamer im Vergleich zur Kontrollgruppe und die zweite “Jugend”-Gruppe war deutlich schneller. Die Trigger haben also die Laufgeschwindigkeit beeinflusst.

Bargh und Kollegen haben daraufhin weitere Studien durchgeführt und noch beeindruckendere Ergebnisse erzielt: Trinken wir in gemütlicher Atmosphäre ein Heißgetränk, finden wir unser Gegenüber deutlich sympathischer, als wenn wir auf einem harten Stuhl ein kaltes Getränk konsumieren.

Und was hat das mit mir und Werbung zu tun?

Ganz einfach: Auch Sie sind von dieser Manipulation betroffen. Täglich sind Sie hunderten Werbemaßnahmen ausgesetzt: Plakate auf der Straße oder in den öffentlichen Verkehrsmitteln, Werbung in Radio und TV, in der Zeitung, im Internet - egal, wohin man schaut.

Selbst, wenn Sie diese Werbeflut ignorieren und sich nur auf das für Sie Wesentliche konzentrieren - Sie gehen in der Werbepause aus dem Raum, Sie lesen in den Öffentlichen Verkehrsmitteln ein Buch, Sie schauen auf die Straße… - entkommen Sie der Manipulation nicht! Das hat eine Studie von Anita Tusche, Stefan Bode and John-Dylan Haynes aus dem Jahr 2010 ergeben.

Das Gehirn nimmt die Informationen aus der Werbung selbst dann auf, wenn es mit einer anderen Aufgabe beschäftigt ist.

Eine bewusste Auseinandersetzung mit Werbung ist für eine Kaufentscheidung also nicht notwendig.

Wie kann das sein?

Das Gehirn besteht aus einem gigantischen Neuronennetzwerk. Neuronen (oder auch Nervenzellen) verarbeiten Informationen. Bei Lernprozessen bilden die Neuronen Verknüpfungen (Synapsen) mit Nachbarzellen. Somit ist jedes einzelne Neuron durch diese Synapsen mit tausenden weiteren Neuronen verknüpft.

Wird eine Nervenzelle nun durch eine eingehende Information aktiviert, breitet sich diese Aktivität auch auf die umliegenden Neuronen aus. Stellen Sie es sich wie bei einem Spinnennetz vor: Tausende Fäden sind miteinander verknüpft. Geht die Beute (der Reiz) ins Netz, schwingt nicht nur der betroffene Faden, sondern auch die Umliegenden. Die Vibration wird von Faden zu Faden (von Neuron zu Neuron) weiter übertragen. Man spricht hier von einer Aktivierungsausbreitung.

Spinnennetz

Die Synapsen sind mit einem Spinnennetz vergleichbar

Das ganze hat den einfachen Vorteil, dass die Informationsverarbeitung schneller geht und weniger Ressourcen benötigt werden.

Durch unsere Lernerfahrung verknüpfen wir also unbewusst Dinge miteinander. Wer Max hört, denkt auch an Moritz. Weitere Beispiele gefällig?

  • Frosch und (Prinz)

  • Wer A sagt (muss auch B sagen)

  • Helene (Fischer)

  • Rock (& Roll)

  • Wüste (heiß, trocken)

  • Himmel (blau)

  • und viele mehr.

Wir können das Priming also nicht bewusst steuern - es passiert einfach.

Wie werde ich geprimt?

Beim Priming gibt es zwei Arten: Das affektive und das semantische Priming.

Semantisches Priming meint die Bedeutungsverknüpfung: Zwei semantisch verwandte Wörter werde miteinander in Verbindung gebracht.

Bei Cola denken wir in der Regel sofort an Coca Cola, obwohl es noch viele weitere gibt (Fritz Kola, Pepsi, Afri Cola, Dr. Pepper usw.). Bei Schuppen denken wir an Head & Shoulders, bei Taschentücher an Tempo und so weiter. Für eine Marke ist es natürlich ein Jackpot, wenn eine (positive) Eigenschaft sofort mit ihr in Verbindung gebracht wird.

Beim affektivem Priming werden Gefühlszustände aktiviert - wir werden also über unsere Emotionen manipuliert. Werbung, die Emotionen weckt, aktiviert wieder unser neuronales Netzwerk. Das Gehirn verknüpft dann die Emotion mit dem beworbenen Produkt, obwohl dieses in der Werbung selbst meist eine untergeordnete Rolle spielt.

Die Voraktivierung von Netzwerken, also das Priming, in denen Marken repräsentiert sind, machen sich Unternehmen zunutze.

Im folgenden einige schöne Beispiele:

Der Protagonist des Spots ist ein Golden Retriever, der von seiner Angebeteten Hundedame betrogen wurde. Schockiert und lebensmüde springt er auf die Autobahn vor ein Auto. Erstaunlicherweise kann dies aber rechtzeitig bremsen. Die Werbung ist vom Reifenhersteller Bridgestone.

Die Reizverknüpfungen sind nun beispielsweise: Sicherheit - Bridgestone oder auch Hund - Bridgestone.

 

Diese bekannte Coca-Cola-Light-Werbung aus dem Jahr 1997 zeigt einen jungen, attraktiven Mann, der in ein damen-dominiertes Büro kommt, eine eiskalte Coke trinkt und dabei dem weiblichen Publikum die Köpfe verdreht.

Ignorieren wir den Sexismus in dieser Werbung und konzentrieren uns auf die Reizverknüpfungen:

Coca Cola light = sexy

Coca Cola light = zum Abkühlen

Oder noch ein Beispiel aus dem Offline-Bereich: Verschiedene Supermarkt-Ketten arbeiten mit Duftsäulen. Beispielsweise wird dann in der Nähe der Obstabteilung der Geruch von frischen Äpfeln gezielt verströmt, so dass der Konsument Appetit darauf bekommt und Äpfel kauft. Auch an den Fleischtheken wird getrickst: Spezielles Licht lässt das Fleisch roter und appetitlicher aussehen.

Priming und die Platzierung des Produkts im entsprechenden neuronalen Netzwerk sorgen im Grunde für den Absatz. Die Grundvoraussetzung ist jedoch, dass ein Bedürfnis vorhanden ist! Habe ich beispielsweise Durst, reichen kleine Stimuli - die entsprechende Musik, der Anblick eines bestimmten Tieres, eine Alltagssituation - um Priming zu initiieren und letztendlich für einen Kaufabschluss zu sorgen, indem ich mir am Automaten z.B eine kühle Coke kaufe.

Fazit

Die umfassende Forschung zum Priming ergibt, dass jeder einzelne von uns täglich vielfach in seiner Entscheidung und Meinung unbewusst manipuliert wird - und selbst ebenfalls andere Menschen beeinflusst. Dafür reichen schon kleinere Äußerungen aus.

Priming ist auf keinen Fall etwas Schlechtes! Durch die Reizverknüpfungen kann unser Hirn viel schneller arbeiten und verbraucht weniger Ressourcen. Würden wir alle Informationen um uns herum bewusst wahrnehmen, würde das unser Gehirn überlasten und unserem Körper eine Menge Energie abverlangen.

Doch nur, weil wir Dinge nicht bewusst wahrgenommen haben, heißt das nicht, dass sie “verloren” sind - unser Gehirn merkt sich trotzdem alles und speichert die Informationen ab. Dass wir dadurch beeinflusst werden können, ist eine Tatsache, die wir in Kauf nehmen müssen.

Unternehmen können den Priming- Effekt für sich nutzen, indem sie gezielt subtile Schlüsselinformationen auf allen Werbeplattformen setzen, die den Wiedererkennungswert der Marke (unbewusst) steigern. Das können winzige Details sein, z. B. in der Hintergrundgestaltung der Webseite, in der Wortwahl oder in der Bildsprache. Auch Rezensionen oder Incentives können als Trigger das Priming aktivieren.

Und nicht zuletzt kann jeder auch das Priming auf sich selbst anwenden: Morgens den Lieblingssong hören und vielleicht noch dazu tanzen - dadurch bekommt man gute Laune und geht gleich positiver in den Tag.